Der Reichtum in der Schweiz liegt nicht nur in wenigen Händen, sondern ist auch räumlich konzentriert. Im physischen Raum werden soziale Strukturen sichtbar, Ungleichheit materialisiert sich. Der Besitz an Kapital bringt Macht über den Raum. Eine sehr gute Ausstattung mit ökonomischem Kapital bedeutet die Möglichkeit, physischen Raum einzunehmen und sich anzueignen. Quantitativ mehr Raum, aber auch qualitativ besseren Raum – was Verschiedenes bedeuten kann: Ruhe, Exklusivität, schöne Aussicht, gute Luft, ein vorteilhaftes Steuerklima… Unterschiedliche „Standortfaktoren“ führen dazu, dass sich Reiche an ausgewählten Orten niederlassen. Die geografische Nähe fördert wiederum die Anhäufung von sozialem Kapital, erleichtert also durch (zufällige) Kontakte die Pflege und Kultivierung sozialer Beziehungen. Wenn Wohlhabende am gleichen Ort wohnen und Nachbarn sind, kommt es zu einer Kumulation von Vorteilen und Privilegien: Die Quartiere der Reichen sind mit besonderer Infrastruktur ausgestattet, weisen eine hohe Ästhetik auf und formen eine kulturelle und soziale Umgebung, in der sich die Wohlhabenden „unter sich“ befinden.

Abbildung 1: Die Wohnorte der in der Schweiz wohnhaften 100 Reichsten.

Reichtum kumuliert sich an den Ufern des Zürich-, Zuger-, Vierwaldstätter- und Genfersees, in Basel sowie in den touristischen Hochburgen im Engadin, in Gstaad und im Südtessin (vgl. Abbildung 1). Es ist nicht nur der Reiz der guten Aussicht, der in der Schweiz die Superreichen in einige wenige bevorzugte Regionen lockt. Weitaus am meisten Erklärungskraft für die Wohnortswahl der Wohlhabenden hat die Steuerpolitik. Durch den Föderalismus bei den Steuern kommt es zu einem „Wettbewerb um die Reichen“, der die Bildunghomogener Gruppen auf räumlicher Basis begünstigt. Die helvetische Spezialität der Pauschalbesteuerung reicher AusländerInnen hat seit dem Inkrafttreten der Bilateralen Verträge mit der EU zu einem sprunghaften Anstieg von ausländischen Steuerflüchtlingen geführt.Im Jahr 2008 gab es in der Schweiz rund 5000 Steuerabkommen mit Reichen aus dem Ausland. Die Verteilung auf die Kantone ist sehr unterschiedlich. Viele solche aufwandbesteuerte Personen haben ihren Wohnsitz in beliebten Tourismus- und Kurorten der Schweiz. An der Spitze steht dabei der Kanton Waadt mit über 1200 Personen.

Wer mit einem großen Maß an ökonomischen Ressourcen ausgestattet ist, kann sich zudem müheloser im Raum bewegen. Mobilität ist bei Reichen eine Selbstverständlichkeit. Die Möglichkeit, jederzeit ein Flugzeug oder einen Helikopter zu besteigen, erweitert den Aktionsradius und fördert so genannt multilokale Lebensformen. Trotz des oft mondänen Lebensstils und der Weltenbummlerei sind jedoch insbesondere Reiche aus alten Familien meistens an einem festen Ort verwurzelt, der mit der Familiengeschichte eng verbunden ist. Einkommensmillionäre sind tendenziell weniger an einen Ort gebunden und damit auch empfänglicher für steuerliche Lockangebote (Beispiele sind Daniel Vasella, Roger Federer u.a.).

Gated communities – oder „Ghettos der Reichen“, wie sie im Volksmund auch genannt werden – sind Quartiere oder ganze Dörfer, die zumeist umzäunt und mit einem Sicherheitsdispositiv ausgestattet sind. Die Bewohner verschließen sich dort regelrecht vor der Öffentlichkeit. Man kennt dieses Phänomen vorwiegend aus den USA oder aus Mexiko. Aber auch in europäischen Städten wie London oder Madrid gibt es solche Wohnviertel für Vermögende, die meist eine hohe soziale Homogenität aufweisen. Gated communities sind vor allem in Ländern mit grossen sozialen Ungleichheiten vorzufinden, heisst es. Trifft das nicht auch für die Schweiz zu?

Es scheint, dass sich der Reichtum in der Schweiz im Gegensatz zu anderen Ländern nicht hinter allzu hohen Mauern verschanzen will und wegen der geringen Kriminalität und der großen Diskretion wahrscheinlich auch nicht muss. Trotzdem kann man gerade in letzter Zeit beobachten, dass sich die Wohlhabenden zunehmend auch sozialräumlich ausgrenzen, also eigene private Räume für sich beanspruchen. Sie betreiben eine Art von freiwilliger Ab- und Ausgrenzung und verschließen sich vor der übrigen Gesellschaft. Im Nobel-Touristenort St. Moritz kommt ein Villenviertel am Suvrettahügel einer Art prestigereicher „Enklave von Reichen“ gleich. Hier – an der Via Suvretta – findet man die sechsthöchsten Quadratmeterpreise der Welt (nämlich 47‘000 Fr.). Die Luxusvillen gehören Millionären und Milliardären aus ganz Europa. Wir haben versucht, uns dieser „Stätte des Reichtums“ ethnographisch anzunähern und berichten in unserem Buch ausführlich über symbolische und physische Ausschlussprozesse, die sich am Beispiel der „Suvretta-Community“ erkennen lassen.

Reiche betreiben in der Schweiz weitere Formen der Abschottung und der sozialen Schliessung. Wir beobachten einen Boom an exklusiven Dienstleistungen, die sich ausschliesslich an eine sehr zahlungskräftige Elite richten und zu eigentlichen „Parallelgesellschaften“ der Superreichen führen. Diese privatisierten Räume reichen von einem eigenen Gesundheitssystem (etwa exklusiven Privatkliniken) über ein eigenes Verkehrssystem (bspw. Swiss Jet, eine Fluggesellschaft mit Sitz in Samedan) und eigene Schulen (zahlreiche private Eliteinternate und International Schools), exklusiven Klubs mit hohen Eintrittsgebühren und restriktivem Zugang bis hin zu eigenen Banken („Family Offices“). Wer bezahlen kann und zum Klub der Auserwählten gehört, kann teilnehmen und von den Serviceleistungen profitieren, die anderen sind ausgeschlossen.



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Ganga Jey Aratnam, Sarah Schilliger und Ueli Mäder